Travels

 Andalusien
im Winter 21/22

onkel Dittmeyer hatte Recht…

Als TV-Kind der 80er und 90er Jahre des vergangenen Jahrtausends hat man sie alle noch vor Augen. Oder im Ohr. In verschiedensten Reklamefilmchen aus den frühen 90ern propagierte Rolf H. Dittmeyer täglich die Qualität der mächtigen spanischen „Spätapfelsine“. Und da isse nun. Ich brauche nur die Hand auszustrecken und…

Wir fahren gerade durch das andalusische Hinterland, irgendwo zwischen Granada, Guadix und der Sierra Nevada, die mit dem 3482 Meter hohen Mulhacén und schneebedeckten Gipfel immer über der Szenerie thront. Plan ist es, die spanischen Halbwüstengebiete der „Desierto Gorafe“ und der „Desierto Tabernas“ zu erkunden. Wie konnte es dazu kommen?


Zugegeben: eigentlich ist diese Reise nur die B-Wahl, aber Marokko hat zum Zeitpunkt unserer Reise immer noch die Grenzen dicht und so haben wir mal recherchiert, wo es denn in Europa noch andere „wüste Gebiete“ gibt, in denen wir mit (für Dezember / Januar) möglichst wenig Niederschlag und möglichst hohen Temperaturen rechnen können.


Ab Saarland sind es bis Tabernas rund 2.200 Kilometer und wie (fast) immer sind wir im Konvoi mit zwei wohntauglichen Dachzelt-PickUps, vier Humanoiden und insgesamt 145 Kilogramm Hunden unterwegs. Am 25.Dezember 2021 um 10.00 Uhr geht’s los. Alle geboostert, die Hunde mit gültigem Reisepass und Verpflegung für mindestens 5 Tage. (Dazu gehört auch ein ganz vorzüglicher selbstgeräucherter Schinken von Opa Adolf, den er mit seinen 85 Jahren wenige Tage zuvor noch in Lebach extra geräuchert hat. Aber darüber müsste ich eigentlich mal eine ganz eigene Geschichte schreiben.)


Ab über die französische Grenze, Nancy, Toul, Dijon (ja, das ist da, wo der Senf her kommt), Lyon, Valence, Montelimar, Orange, Montpellier und im Hinterland von Narbonne haben wir auf dem Gelände eines Tontaubenschiessstands unser erstes Nachtlager. Dachzelt aufklappen, hinhauen, Feierabend. Auf viel Kochen hat da keiner mehr Lust…

Das nächste Tagesziel* steht schon fest: Die Finca Caravana von Franze. Franze ist von undefinierbarem Alter, kommt ursprünglich aus Bayern, hat mit dem Fahrrad die Sahara durchquert und ist irgendwie auf dem Weg nach Afrika in der Provinz Murcia hängen geblieben. Das ist jetzt die wirklich ganzganzganz kurze Fassung. Dort betreibt er einen… hm… „Treffpunkt“ für Fernreisende. Und so finden sich dort eine ganze Menge Expeditions- und Reise-LKWs, die eigentlich auch alle nach Marokko beziehungsweise Afrika im Allgemeinen wollten, ABER.


*Jetzt brauchste aber nicht zu denken, dass wir das ohne Frühstück durchziehen. Neeee. Wir sind (noch) in Südfrankreich. Was macht man in Südfrankreich? Man isst Croissant. Das durchschnittliche südfranzösische Croissant wiegt circa 200 Gramm und besteht zu 99% aus bester bretonischer Butter. Ein südfranzösisches Croissant deckt den Tagesfett-, Kalorien und Nährwertbedarf einer durchschnittlichen mitteleuropäischen Familie mit vier Kindern und schmeckt ausgesprochen… naja… lecker.


Auf dem Weg zur Finca Caravana verändert sich die Szenerie im Zeitraffertempo. Aus sattgrünem Berg- und Küstenland wird ockergelbe Ebene. Überall stehen Palmen und wir fahren an endlosen Plantagen entlang. Oliven, Mandeln und Orangen soweit das Auge reicht. Und Gewächshäuser. Unfassbar viele Gewächshäuser. Wir haben das mal recherchiert. Allein in der Provinz Almeria stehen insgesamt rund 31.000 Hektar Gewächshäuser. Das entspricht der Fläche von Malta. Oder 43.000 Fußballfeldern… Paprika, Gurken, Tomaten. Und der größte Teil davon, wird laut des Erzeugerverbandes Coexphal nach Deutschland Exportiert. 1037 Tonnen im Jahr 2018. Wer sich mal die Mühe macht und einen der Gipfel der Alhamilla erklimmt, erkennt relativ schnell, was 31.000 Hektar bedeutet: Weiße Plastikplanen bis zum fernen Mittelmeer.

Endlich angekommen, richten wir im Dunkeln unser Camp ein. Doch das verdiente Abendessen muss noch ein bisschen warten. In der Box mit der Dachzeltheizung hat es unterwegs eine Kraftstoffleitung durchgescheuert und so haben sich ein paar Liter Diesel sinnlos übers Dach verteilt. Und in die Türdichtungen. Riecht lecker…


In dieser Nacht bekommen wir zum ersten Mal auf unserer Reise den Tramuntane zu spüren. Kühler, trockener und vor allem starker Fallwind auf dem Weg zur Küste. Bis zur Abfahrt am Morgen zerrt und reißt der Wind an den Zeltwänden.


Und dann – endlich – sind wir da. Nur ein paar Stunden und rund 300 Kilometer Orangenbäume später erreichen wir die (Halb-)Wüste von Tabernas.

Hier wurden übrigens ziemlich viele Filme gedreht. Lawrence von Arabien. Für eine Hand voll Dollar. Indiana Jones. Und so weiter. Mit anderen Worten: sieht nice aus hier. Oder auch atemberaubend. Wir fahren weit ins Wüstengebiet rein und suchen uns in einem kleinen ausgetrockneten Canyon einen Schlafplatz. Die Sonne geht hier ziemlich schnell unter und es wird… sagen wir mal „frisch“. Aber draußen Sitzenbleiben wird belohnt: ohne jetzt selbst gemessen zu haben würde ich behaupten, dass die Milchstraße hier mindestens 2,8 mal so groß und viel näher ist. So viele Sterne sieht man selten. Außer vielleicht oberhalb vom Polarkreis, aber da stören diese verdammten Polarlichter ja immer die Aussicht.


Mal zum Vergleich: am Tag hatten wir hier im Schnitt zwischen 22°C und 26°C. Nachts zum Teil bis -5°C. Da lohnt die Dachzeltheizung.

Um die touristischen Attraktionen wie das „Fort Bravo“ oder „Western Leone“ haben wir einen größeren Bogen gemacht. Auch in Spanien sind gerade Winterferien und die Inzidenzwerte sehen nicht gerade rosig aus. Und nach drei Tagen wäre auch ’ne Dusche mal ganz nett. Also machen wir uns über Offroad- und Staubpisten auf in Richtung eines Campingplatzes, den uns ein Schweizer empfohlen hat, der lange in Lappland gewohnt hat, sich nun aber hier unten rumtreibt. Vorübergehend.


Granada nehmen wir natürlich mit. Einmal die Alhambra sehen… Oder auch nicht. Ausgebucht bis Mitte Januar. Insgesamt laufen wir in Granada ca. 7 Kilometer. Und gefühlte 1200 Höhenmeter. Eine faszinierende Altstadt, die aber in einem relativ steilen Taleinschnitt liegt und von „Ebene“ zu „Ebene“ nur über schmale Gassen und steile Treppen zu erforschen ist. Die Hunde saufen vor einer Kirche den nächstbesten Brunnen leer und wir haben Sonnenbrand. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es sich im Sommer in diesem Kessel anfühlt. Bei stehender Luft und 45°C.

Ab Granada wird es sehr gemütlich. Denn von Granada nach Gorafe (Ja, der Ort heisst wie das gesamte Wüstengebiet. Oder umgekehrt. Vermutlich eher umgekehrt.) sind es gerade mal etwas mehr als 80 Kilometer, und ab hier folgen wir kleinen, noch kleineren und allerkleinsten – offiziell erlaubt befahrbaren – Wegen und Pfaden kreuz und quer durch die wahrscheinlich GrandCanyon-artigste Szenerie östlich des GrandCanyons. Oder westlich. Kommt drauf an, in welche Richtung man fährt. Schließlich wollte man ja auch nur nach Indien, als man zufällig Amerika entdeckt hat.

Kurz zusammengefasst könnte man sagen, dass das hier ziemlich Atemberaubend ist. Auch wenn sich die Gänsegeier (ziemlich beeindruckende Vögel übrigens) über Weihnachten offenbar verp***t haben, könnte man meinen, dass man gerade irgendwo in Arizona rumgurkt und erwartet eigentlich hinter jeder nächsten Biegung eine klassische Westernkleinstadt mit Saloon und Sheriff-Office.


Irgendjemand hat das ganze mal wissenschaftlich erforscht und herausgefunden, dass das ganze Gebiet vor rund 100.000 Jahren ein ziemlich großer See war. Das, was wir dann heute hier zu sehen bekommen, sind eigentlich nur ein paar kümmerliche Sedimente. Aber hey… die sind ziemlich hübsch. Und offenbar kommen auch ein paar Eurer Urururururur…Ur-Ahnen aus dieser Gegend. Denn quasi hier um die Ecke in Orce gibt es ein paar der ältesten Überreste von Hominiden Europas. (Das gilt natürlich nur für Anhänger der Evolutionstheorie. Alle anderen wurden selbstverständlich am 6. Tag gebaut.)

Freundlicherweise haben dann die Nachfahren dieser Menschenaffen eine ganze Menge Wohnhöhlen in die Felsen gehämmert. Irgendwann haben die Mauren diese Apartments übernommen und weiter ausgebaut und so kann man heute noch auf einschlägigen Buchungswebseiten eine Nacht oder – je nach Reisebudget – ein halbes Jahr in einer jahrtausende alten Höhle buchen. Ohne Strom. Ohne WiFi. (Nach einer halben Stunde auf TikTok ist dieser Wunsch auch durchaus nachvollziehbar.)

Uns zieht es aber weniger in so alte Felslöcher und dafür mehr so nach draußen. In den nächsten Tagen führen uns schmale und steile Wege immer wieder vom Boden des Canyons auf die darüber liegenden Plateaus und wieder runter und wieder rauf. Es ist unglaublich trocken für diese Jahreszeit, der Himmel wurde für unseren Besuch in einem wirklich satten Dunkelblau inszeniert und wir können uns gar nicht satt sehen an diesen orangenen und ockergelben Felswänden und -nadeln. Zugegeben: Deutschland HAT ausgesprochen schöne Ecken. Aber hier würde ich es durchaus auch mal ein Jahr aushalten.

Und falls sich nach rund zwei Stunden Lesezeit nun jemand gefragt hat, was das eigentlich mit Onkel Dittmeyer zu tun hat: Orangen gibt es hier an jeder Tankstelle im praktischen 10-Kilo-Sack. Orangen begleiten uns auf dieser ganzen Fahrt. Wir essen Orangen zwischendurch, wir trinken frisch gepressten Orangensaft zum Frühstück… Co-Pilotin Lisa hat auf dieser Fahrt geschätzte 42.000 Orangen geschält. Oder Apfelsinen. Oder Clementinen. Je nachdem, was an der letzten Tanke gerade zu haben war. Und ja… Onkel Dittmeyer hatte Recht. Eine frische Orange von einem andalusischen Orangenbaum schmeckt GARANTIERT anders, als diese nachgedunkelten Tennisbälle, die man in Deutschland im Bioregal findet.

Und nun muss ich diesen Beitrag leider dringend beenden. Ich hab jetzt wirklich STARKES Verlangen nach einer Orange und es sind keine mehr da… Sorry, muss los, Diggi.


Andalusien. Tabernas. Gorafe. Fahrt hin und esst Orangen.

Sie schmecken sehr gut.

„Über den Autor“…

Tourensohn. Baujahr 1977, verreist am liebsten mit dem Dachzelt oder auf dem Motorrad. Oder mit beidem. Mehr Bilder gibt’s unter @tourenkinder oder fb.com/tourensohn


Fotos: © Tourensohn & Lisa Quirmbach