Travels

Lofoten

28. Juli 2021. Es stinkt erbärmlich. Wir stehen hier auf den Südlofoten unter einem riesigen Trocknungsgestell für Stockfisch und der Geruch haut einen um. Wer jemals einen Fischmarkt in Asien besucht hat weiß, was ich meine… 26°C, strahlend blauer Himmel und bestialischer Gestank nach Fisch. Das ist Å…

Å hat so ziemlich das geilste Ortsschild der Welt: Å. (Und das spricht sich nicht etwa „Ä“: das „A mit Kringel“ spricht sich wie ein etwas längeres „O“.) Der rund 100 Einwohner zählende Ort im Süden der Lofoten lebt heute überwiegend vom Tourismus, blickt aber auf eine rund 1000-jährige Stockfischgeschichte zurück. Die immer noch gelebt wird. Und zwar nicht nur geruchstechnisch. Auch heute ist der hiesige Stockfisch noch immer ein Exportschlager in 18(!) Qualitätsstufen. Aber was machen wir hier eigentlich?

In den letzten drei Tagen sind wir rund 2.800 Kilometer aus dem Saarland ins Norwegische Bodø gerollt. Im Konvoi mit zwei reisetauglichen Pickups, insgesamt 4 Personen, 3 Hunde und einer Menge Impfnachweise für alle. Nachts um drei (im Juli also taghell, da wir uns bereits weit über dem Polarkreis befinden) legt unsere Fähre Richtung Lofoten ab…

Wir waren in den letzten Jahren schon oft in Skandinavien und haben insgesamt ca. 26 Mal den Polarkreis überquert. Im Sommer wie im Winter. Und diesen Sommer haben wir insgesamt rund zweieinhalb Wochen in Skandinavien verbracht: Von Deutschland über Dänemark über Norwegen über die Lofoten über Finnland über Schweden nach Deutschland. Knapp 9.000 Kilometer und eine Million unvergesslicher Erinnerungen… Die Mitternachtssonne über unserem Übernachtungsplatz in Fredvang, Südseeblaues Atlantikwasser an den Stränden von Lødingen, unser Camp im Niemandsland zwischen Norwegen und Finnland, Angeln an riesigen Seen im völlig menschenleeren Hinterland Lapplands.

In der Regel sind wir weitestgehend autark in ziemlich verlassenen Gegenden unterwegs. Geschlafen wird im Dachzelt (das für wirklich kalte Nächte und die Herbst-/Wintersaison sogar ‘ne Standheizung hat), gekocht wird, was wir dabei haben (oder unterwegs auftreiben können) und Baden kann man im „Land der 10.000 Seen“ nahezu an jeder Ecke. Und so ist „Å“ eigentlich ein kleiner Zivilisationsschock. Laut einem Bewohner herrscht bei unserer Ankunft seit einer Woche das beste Wetter seit Jahrzehnten. Und zugegeben: dieses Jahr habe ich mir zum aller ersten Mal in Skandinavien einen Sonnenbrand geholt. Doch dieses unfassbare Wetter zieht auch andere zur Bilderbuchkulisse der Lofoten.

(Denn tatsächlich sieht es hier hinter jeder Kurve aus wie in einem Bildband. In jeder Bucht kleine rote Häuschen, Fischkutter und nahezu senkrecht abfallende Bergflanken im Hintergrund.) Mit anderen Worten: es ist ungewohnt voll. Die engen kleinen (Land-)Sträßchen sind zu geschätzten 85% mit überbreiter Weißware (Fachausdruck für Campervans und Caravans) belegt und es sind hunderte Wanderer unterwegs auf einen der umliegenden Gipfel. Viele Norweger nutzen das Ausnahmewetter für einen Kurztrip und ein anderer Einheimischer, mit dem ich wegen unserer Expeditionsfahrzeuge ins Gespräch komme, meint ganz trocken, dass er es „ziemlich Scheisse“ findet, dass er wegen der restriktiven Einreisebestimmungen jetzt nicht in Tunesien sein kann. „Way too many people here.“ Offenbar auch jemand, der in der Regel eher autark und alleine reist.

Trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – dem eigentlich unbeschreiblichen Fischgeruch: es ist schön hier. Der Blick auf den historischen Ortskern lässt erahnen, wie es hier vor 150 Jahren aussah. Rauhes Klima, harte Arbeit als Schmied oder Fischer und im Winter eine Menge Dunkelheit und Temperaturen unter -20°C. Man sollte nochmal herkommen. Mit etwas mehr Zeit und vielleicht nicht gerade mitten in der internationalen Reisesaison. Zum Wandern vielleicht.


Apropos. Dem aufmerksamen Leser ist sicherlich nicht entgangen, dass diese Reise mitten in einer Pandemie stattfand. Auf dieser Reise haben wir 9 Landesgrenzen überquert und hatten überhaupt keine Probleme bei der Ein- oder Ausreise. Wir haben uns vorher gründlich informiert, waren alle vollständig geimpft und waren die meiste Zeit eh in Gegenden unterwegs, in denen sonst eigentlich niemand ist. In Lappland beispielsweise liegt die Bevölkerungsdichte bei 2 Personen pro Quadratkilometer. Zwei Personen. Erzähl das mal einem Japaner aus Tokio.

Kleine Anekdote vom Grenzposten zwischen Norwegen und Finnland: Der digitale Impfnachweis war für den finnischen Polizisten am Grenzposten vollkommen uninteressant. Ebenso wie die Hunde oder unsere Personalausweise. Dafür war er ganz heiß auf Fisch. Penibel hat er alle Alukisten auf dem Dach inspiziert, die Ladefläche des Wagens und auch alle anderen Orte, an denen man Fisch schmuggeln könnte. Was ein bisschen absurd anmutet, wenn man in einer Region, in der es alle 200 Meter einen riesigen See gibt, ungefähr 15 Mal nach Fisch gefragt wird. Artenschutz. Vermutlich. Auf schräge Art und Weise unterhaltsam.

Genau da oben haben wir übrigens auch am Wasser unser Camp aufgeschlagen, als sich keine 100 Meter weiter ein Rentier zur Mittags- Pinkelpause niedergelassen hat. Sonnenbaden am Strand. Sozusagen. Und genau DAS sind die Dinger, von denen du deinen Enkeln noch erzählen kannst. Oder hier, in so einem Reisebericht.

Übrigens ist „Skandinavien“ insgesamt ziemlich viel Fläche für ziemlich wenige Menschen. Daher gibt es das so genannte Jedermannsrecht. Ganz grob zusammen gefasst bedeutet das: Wenn du niemanden auf die Nerven gehst und deinen Müll wieder mitnimmst, kannst du hier Übernachten, wo du willst. (Wirklich ganz grob zusammengefasst. Im Detail solltest du das natürlich vor Reiseantritt nochmal googeln.) Und das führt dazu, dass du morgens aus deinem Dachzelt auf einen wunderschönen Waldsee schaust oder Elche beobachtest oder (mit gültiger Angelkarte, aktivierbar per SMS) einen fetten Barsch fürs Abendessen rausholst, ohne das auch nur ein einziger anderer Mensch in der Nähe ist.

„Ich kaufe ein „Å“ und löse auf…“

Ja. Es stinkt erbärmlich nach Fisch. Aber! Es gibt nicht viele Orte auf der Erde, die beim Orstnamen derart gespart, aber soviel Budget in die Kulisse gesteckt haben. Und auf meiner persönlichen „Europe Top Ten“ rangieren diese winzig kleinen Postkartenorte zwischen der Strada Assietta und den Picos de Europa auf dem Motorrad weit auf den vorderen Plätzen. Solltest du dir also mal anschauen.


„Über den Autor“…

Tourensohn. Baujahr 1977, verreist am liebsten mit dem Dachzelt oder auf dem Motorrad. Oder mit beidem. Mehr Bilder gibt’s unter @tourenkinder oder fb.com/tourensohn


Fotos: © Tourensohn & Lisa Quirmbach